Der Uborg ist eine rätselhafte Erscheinung und übt dementsprechend eine außerordentliche Anziehungskraft auf einen Forscher aus. In meiner Arbeit widmete ich ihm ein ganzes Kapitel und bemühte mich, alle Informationen, die ich über das Ungeheuer finden konnte, zusammenzutragen. Von all den Geschichten, die über das Auftauchen des Uborgs in der Welt Feo erzählt wurden, scheint mir nur eine wirklich wahr zu sein. Von dieser möchte ich hier bis ins allerkleinste Detail berichten.
Die Historiker der Welt Feo wissen, wie sehr die Erzählung von dem kostbaren Schatz, den der hohe Hexenmeister und Erdenmagier Goroschan vor langer Zeit gut versteckt hat, in früheren Jahrhunderten die Gemüter der jungen Abenteurer aufwühlte. Man sagte, dass er kurz vor seinem eigenen Tod sein komplettes Zaubergut in unvorstellbaren Tiefen versenkte und danach Mutter Erde bat, den Schatz so zu bedecken, als ob nichts gewesen wäre. Viele versuchten Goroschans Schatz zu finden, träumten davon in den Besitz seiner kostbaren Artefakte zu kommen, aber keinem ist es bislang gelungen. Vielleicht ist die Geschichte von seinem Erbe auch einfach nur eine Erfindung. Die Bewohner von Feo jedoch wollen an ihre Wahrheit glauben und so begeben sie sich immer wieder erneut auf die beschwerliche und gefährliche Suche. Vier Übeltäter sind in dieser Angelegenheit weiter als alle anderen gegangen. Das waren noch junge, aber sehr talentierte schwarze Magier, die viele Jahre durch die Welt streiften und überall nach Spuren des antiken Schatzes suchten. Aber all ihr Bemühen war erfolglos...
Da beschlossen sie, ihr Schicksal herauszufordern und die Erde selbst zu zwingen, ihnen das zu geben, was sie suchten. Nachdem sie sich zum antiken Tempel der Mutter Erde begaben, begannen die Zauberer ihren bösen Zauber. Sie verfügten über ein wirklich schreckliches Mittel, denn die schwarze Magie hat eine sehr zerstörerische Kraft. Die Übeltäter führten schreckliche Riten aus, verbrannten lebende Tiere und opferten unschuldige Bewohner der Siedlungen in der Umgebung. Sie brachten die in den Tiefen der Erde beerdigten Gebeine um ihre Ruhe: Unzählige Knochen von Kreaturen, die im Verlauf der letzten tausend Jahre gestorben sind, führten einen wilden Veitstanz auf, als ihre Heimaterde nachgab. Der ehemals blühende und wunderschöne Tempel der Mutter Erde verwandelte sich in ein verbranntes, von Blut getränktes und mit Asche bedecktes Schlachtfeld, auf dem sich Berge verbrannter und verstümmelter Körper erhoben. Der Boden wurde schwarz und Risse taten sich auf, aber die Magier benutzen ihr gesamtes Arsenal an dunklen Kräften und quälten ihn weiter. „Gib uns das zurück, was uns zusteht!“ wandten sie sich an die Erde. Und eines Tages erfüllte die gepeinigte Erde ihre Forderungen, allerdings auf ihre eigene Art und Weise.
Die Erde öffnete sich weit und den gierig in den Abgrund schauenden Übeltätern kam ein personifizierter Alptraum entgegen. Aus einer jahrhundertealten Schicht kam eine Kreatur ans Licht, die all den Schmerz der leidenden Erde und all den Schrecken der rituellen Folterungen und Tötungen, die die schwarzen Magier veranstaltet hatten, in sich aufgenommen hatte. Eine riesige Bestie mit Hunderten von Augen und Tausenden von Zähnen kaute lange die vom Missgeschick verfolgten Zauberer wieder, zermalmte ihre Knochen zu Pulver und drückte das Blut bis zum letzten Tropfen aus ihren Körpern. Seit diesem unheimlichen Tag kann sich keiner der Bewohner der oberen Welt mehr in Sicherheit wägen, kann keiner über die Erde gehen, ohne zu befürchten, dass der Boden unter seinen Füssen nachgibt und sein unheimliches, ewig hungriges und schonungsloses Kind preisgibt, das sich endlos an dem Leiden der unglückseligen Opfer berauschen kann. Der wahnwitzige Einfall der Übeltäter brachte das archaische, schwarze und ewige Böse in die Welt, das Schrecklichste, was die Tiefen der Erde jemals hervorbrachten. Niemals wird Uborgs Blutdurst gelöscht, man kann ihn nur stoppen, indem man ihn tötet.
Ich habe viel Arbeit in eine Zusammenfassung der Beschreibungen gesteckt, die ich von denen erhielt, die den Uborg gesehen hatten. Diese Arbeit war nicht leicht, da das Auftauchen des Ungeheuers fast allen Zeugen, die ein Zusammentreffen überlebten, die Sprache oder den Verstand raubte. Nur vereinzelte Bewohner von Feo, die ihn sahen, blieben bei Verstand ungeachtet dessen, dass ihre Haare in nur einem Augenblick vollständig ergrauten und ihre Hände nun ununterbrochen zittern.
Wie ich erfuhr, ähnelt der Uborg einem riesigen Wurm. Es gehen Gerüchte um, dass er mit seinem Schwanz mit dem Mittelpunkt der Erde verbunden ist, was natürlich eine Legende ist. Allerdings ist es kompliziert, die genaue Länge seines Körpers festzulegen, da er normalerweise, wenn er auf die Jagd geht, nur seinen Kopf aus der Erde streckt. Der Kopf des Uborgs ist riesig, das Maul ist voller langer Stoßzähne, scharf wie ein Messer. Er hat eine Vielzahl an Augen, deren Blick die mutigsten Krieger den Verstand verlieren und die Tiere wahnsinnig werden lässt. Etwas unterhalb des Kopfes sind zwei Fühler, deren Berührung schwarze Verbrennungen auf der Haut hinterlassen. Der ganze Körper des Uborgs ist geschützt von einem festen Panzer, den sogar die besten Klingen nur mit Mühe durchdringen können.
Geboren aus den Leiden der Erde, reagiert der Uborg sehr feinfühlig auf sie. Er kommt genau in dem Moment an die obere Welt, wenn dort eine Schlacht stattfindet und Blut vergossen wird. Einige gelehrte Männer sind sich sicher, dass er ausschließlich auf das Zittern der Erde reagiert. Ich möchte mir jedoch erlauben, ihnen zu widersprechen: Niedergestreckte Krieger üben nicht unbedingt mehr Druck auf die Erde aus, als zum Beispiel reisende Händler. Allerdings taucht das Kind der schwarzen Erde nur dort auf, wo die Schreie der Verletzten und Sterbenden zu hören sind. Leider bleibt die Antwort auf die wichtigste Frage, wie man den Uborg bezwingen kann, ein Geheimnis. Unzählige Helden ließen ihr Leben bei der Suche nach einer verwundbaren Stelle am Körper des Riesenwurms. Wenn sie irgendetwas erfahren haben, dann nahmen sie dieses Wissen unwiederbringlich mit in die Finsternis des Erdeninneren, wohin der Uborg seine Opfer zieht...